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Let’s talk:
Die Herausforderung des Klimawandels annehmen

Druck zur Dekarbonisierung

ICR: Wie beurteilen Sie die politischen Entwicklungen in Bezug auf die Verringerung der Kohlenstoffemissionen in den verschiedenen Ländern?

Pablo Hofelich (PH): Die Entwicklung der politischen Situation ist sehr dynamisch und variiert von Region zu Region. Nehmen wir zum Beispiel den Inflation Reduction Act (IRA) von 2022 in den USA. Dieses Subventionspaket enthält einen Preis von 85 US$/t sequestriertes CO2 . Allein dadurch lohnen sich Investitionen in eine Reihe von grünen Technologien. In der EU gibt es auf der einen Seite den EU-Innovationsfonds, in dem die Europäische Kommission angekündigt hat, sie werde 1,8 Mrd EUR in mehrere Großprojekte im Bereich der sauberen Technologien, einschließlich der Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS), investieren. Dazu gehört auch eine Reihe von Zementprojekten. Andererseits werden die kostenlosen CO2 Zertifikate im Jahr 2030 um die Hälfte gekürzt und sollen bis 2034 auslaufen. In anderen Regionen gibt es ebenfalls verschiedene Anreize oder, wie in China, groß angelegte Infrastrukturprogramme mit Schwerpunkt auf grünen Technologien. Insgesamt ist das Thema weltweit auf der Tagesordnung und wird auf politischer Ebene gefördert, sei es in Form von direkten Subventionen, die Schaffung zusätzlicher Nachfrage oder durch Kohlenstoffpreise. Meiner Meinung nach sind die politischen Rahmenbedingungen in Nordamerika und vor allem in Europa derzeit am weitesten in Richtung grüner Regelungen fortgeschritten.

ICR: Die COP27-Klimakonferenz fand letztes Jahr in Ägypten statt. Was waren die wichtigsten Lehren aus diesem Treffen? Was bedeutet das für die Zementhersteller, vor allem im Nahen Osten und in Afrika?

PH: Die Tatsache, dass die Zementindustrie für etwa sieben Prozent der weltweiten CO2 Emissionen verantwortlich ist, machte die Branche zu einem Thema auf der COP27. Sowohl die endgültigen Entschließungen als auch die allgemeine Akzeptanz der Notwendigkeit von Sofortmaßnahmen kann als positiv angesehen werden. Entscheidend wird nun das Tempo der Umsetzung sein. Generell lässt sich sagen, dass die Bemühungen um die Dekarbonisierung von Zementwerken in der Region, z. B. mit spezifischen Initiativen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, an Fahrt gewinnen. Ich gehe davon aus, dass die COP27 solche und andere Initiativen weiter beschleunigen wird.

ICR: Die nächste COP28-Tagung wird im November 2023 in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfinden. Sehen Sie eine Verschiebung hin zu strengeren Emissionsvorschriften in der MENA-Region?

PH: Allein die Wahl des Veranstaltungsortes zeigt, dass die Region die Dringlichkeit der Situation erkannt hat und großes Interesse an der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen zeigt. So arbeitet die Region beispielsweise an der Einführung international anerkannter CO2 Zertifikate, und das nicht nur für die Zementindustrie. Gemäß den Regierungsrichtlinien will Saudi-Arabien bis 2060 CO2 neutral sein, während die VAE beabsichtigen, das gleiche Ziel bis 2050 zu erreichen. Beide Länder investieren bereits in die Kreislaufwirtschaft und bieten bessere finanzielle Bedingungen für Nachhaltigkeitsprojekte.

Der hohe Stellenwert, der den Themen Emissionsregulierung und Dekarbonisierung in der MENA-Region beigemessen wird, zeigt sich auch darin, dass die jüngsten Zement Konferenzen und Messen, wie zum Beispiel Cemtech MEA 2023 in Dubai, von diesen Themen dominiert wurden. Insgesamt erwarte ich, dass die MENA-Region auch weiterhin auf die Förderung von grünem Zement hinarbeiten wird. Ähnlich wie in anderen Regionen wird dies in Form von direkten Subventionen, der Schaffung einer Nachfrage nach grünem Zement oder durch eine Art Kohlenstoffpreis erfolgen.

ICR: Wie beurteilen Sie die Situation aus der Sicht eines Anlagenbauers? Wie setzt thyssenkrupp Polysius seine Prioritäten im Neugeschäft und im Service für die Zementindustrie vor dem Hintergrund der Eindämmung des Klimawandels?

PH: thyssenkrupp Polysius hat bereits vor Jahren die enorme Bedeutung der Dekarbonisierung der Zementproduktion erkannt und in die Entwicklung "grüner" Technologien investiert. Wir sehen uns als Technologiepartner für unsere Kunden und die Dekarbonisierung als den größten Technologieschritt unserer Branche seit langem. einige Zeit. Zu diesem Zweck haben wir unsere Forschungsausgaben weiter erhöht und investieren den größten Teil unseres Forschungs- und Entwicklungsbudgets in grüne Technologien. Wir haben uns auch bewusst dafür entschieden, den kompletten Zementherstellungsprozess in unserem Portfolio zu behalten, einschließlich Materialhandling, Rohmahlung, thermische Verarbeitung sowie wie Zementmahlung und Automatisierungslösungen, da optimale technologische Lösungen nur unter Berücksichtigung des gesamten Zementherstellungsprozesses gefunden werden können.

Traditionelle Methoden: konventionelle und bewährte Maßnahmen

ICR: Welche konventionellen oder "bewährten" Technologien können Zementhersteller jetzt einführen, um ihren Kohlenstoff-Fußabdruck zu verringern, und welche haben das größte Potenzial?

PH: Verschiedene Faktoren können genutzt werden, um den CO2-Fußabdruck zu verringern. Wir verfügen heute bereits über eine Reihe marktreifer Lösungen. Ein Beispiel dafür ist die Steigerung der Effizienz bestehender Anlagen. Auf der Grundlage von Analysen im Rahmen von Audits und detaillierten Scans sind wir in der Lage, den Anlagenbetrieb zu optimieren. Außerdem bieten wir verschiedene Lösungen zur Reduzierung des Klinkerfaktors. Derzeit nehmen wir die branchenweit erste Flash-Calciner-Anlage für aktivierten Ton in Betrieb. Der Kohlenstoff-Fußabdruck von aktiviertem Ton ist etwa viermal geringer als bei der herkömmlichen Klinkerherstellung. Die polysius® booster Mühle dient auch der Reduzierung des Klinkerfaktors. Eine zusätzliche Mahlstufe ermöglicht eine besonders effiziente Feinvermahlung. Weiteres Potenzial liegt in der deutlich schnelleren Analyse des produzierten Klinkers durch unser Analysetool polab®Cal. Lösungen rund um den Einsatz von alternativen Brennstoffen sind derzeit besonders gefragt. Ob abfallintensive Vorbehandlung mit dem polflame®- Brenner oder die abfallfreie Vorbehandlung mit dem Stufenbrenner prepol® SC - unsere Lösungen ermöglichen die Verbrennung von Brennstoffen direkt im Calcinator oder in einer separaten Brennkammer und erfüllen regionale und kundenspezifische Anforderungen.

...optimale technologische Lösungen können nur unter Berücksichtigung des gesamten Zementherstellungsprozesses gefunden werden.

Pablo Hofelich, CEO thyssenkrupp Polysius GmbH

ICR: Stellen Sie fest, dass die Zementhersteller je nach geografischem Standort unterschiedliche Lösungen verwenden?

PH: Es ist klar, dass es nicht die eine Standardlösung gibt. Stattdessen ist jede Lösung maßgeschneidert. Die beste Lösung ergibt sich aus der Summe aller Faktoren am jeweiligenStandort. Zu diesen variablen Faktoren gehören zum Beispiel die Qualität des Rohmaterials, die Verfügbarkeit von hochwertigen Tonen und Alternativbrennstoffe, die Materialpreise oder die Transportkosten. Aktuelle Zementpreise, Nachfrage und regulatorische Faktoren durch politischen Instanzen sind natürlich auch entscheidend.

Auf globaler Ebene sehen wir sowohl reine Effizienzsteigerungen als auch die Nachfrage zur Reduzierung des Klinkerfaktors. Lehm ist derzeit besonders dort beliebt, wo Kalkstein und andere kostengünstige SCMs nicht verfügbar sind. Alternative Brennstoffe sind sind besonders abhängig von der Verfügbarkeit eines beständigen Rohstoffs abhängig. Diese können von Land zu Land unterschiedlich sein.

Künftige Methoden: innovative und unerprobte Maßnahmen

ICR: Prozessbedingte Emissionen machen fast die Hälfte aller CO2 Emissionen im Zementherstellungsprozess aus. Wird die Industrie völlig neue Technologien zur Kohlenstoffabscheidung einsetzen müssen, um das Ziel von Netto-Null bis 2050 zu erreichen?

PH: Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (CCU) und CCS sind wesentliche Instrumente für die kohlenstoffneutrale Transformation. Bestehende Technologien zur Kohlenstoffabscheidung, wie die Aminwäsche, sind bereits verfügbar. Sie sind jedoch sehr teuer und belasten daher die Investitions- und Betriebskosten (Capex und Opex). Dies macht den Einsatz neuer, kostengünstigerer Lösungen erforderlich. An dieser Stelle kommt das Oxyfuel-Verfahren ins Spiel, das in besonders unsere neue und verbesserte polysius® Pure Oxyfuel-Technologie.

ICR: Was ist der technische Vorteil dieses Systems im Vergleich zu anderen Ansätze und wie ausgereift und kosteneffizient ist sie als Abscheidungstechnologie?

PH: Unsere polysius® Pure Oxyfuel-Technologie ersetzt die bisher im Ofen verwendete Umgebungsluft im Ofen durch reinen Sauerstoff. Entsprechend das bei der Klinkerproduktion entstehende Abgas Klinkerproduktion entstehenden Abgase überwiegend aus CO2. Es kann somit leichter aufgefangen und genutzt werden. Es entweicht nicht mehr in die Atmosphäre.

ICR: Gibt es weitere zukunftsweisende Technologien im Bereich der Innovation, die thyssenkrupp Polysius für machbar hält, zum Beispiel die Elektrifizierung von Öfen?

PH: Wir arbeiten an einer Reihe von innovativen Lösungen - entweder allein oder zunehmend in Zusammenarbeit mit Kunden und Forschungsinstitute. Diese reichen von alternativen Zementen, Feinmahlung und anderen Methoden zur Verringerung des Klinkerfaktors bis hin zu alternativen Kohlenstoffabscheidungsmethoden, auch im Bereich Kalk. Sie befinden sich jedoch noch im Forschungsstadium und können daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht kommuniziert werden. Der Elektrifizierung von Öfen stehen wir allein schon wegen der Stromkosten und der sehr hohen Temperaturen eher skeptisch gegenüber. Dank des sehr dynamischen Entwicklungsumfelds werden wir in Zukunft sicher weitere Innovationssprünge erleben.

ICR: Was sind die realistischsten Optionen für die Kohlenstoffspeicherung oder -nutzung, nachdem der Kohlenstoff abgeschieden wurde? Bietet thyssenkrupp Polysius eine Beratungsleistung oder Technologie in diesem Bereich an?

PH: Wie bereits erwähnt, betrachten wir CCU und CCS als wesentliche Technologien im Rahmen der nachhaltigen Transformation der Zementindustrie. Produktion. Unsere technologischen Lösungen reichen jedoch bis zum Ende der den Zementherstellungsprozess und führen zu deutlich geringeren und hochkonzentrierten CO2 Emissionen. Wir stehen in ständigem engen Dialog mit unseren Kunden über die Nachnutzung des CO2 .

ICR: Wie gut sind die Zementausrüster insgesamt auf die technische Herausforderung vorbereitet, innerhalb des nächsten Jahrzehnts und darüber hinaus Netto-Null-Zementanlagen zu liefern?

PH: Sowohl die Anlagenbauer als auch die Zementhersteller gehen das Thema mit großem Nachdruck an. Viele neue Verfahren werden derzeit erprobt oder gebaut, teilweise in sehr großen Demonstrationsanlagen. Allerdings sind die Investitionszyklen und die Zeitspanne zwischen Investitionsentscheidungen und der Aufnahme der Produktion in einer neuen Anlage ist im Allgemeinen lang. Darüber hinaus müssen bei einigen grundlegenden Innovationen auch die Normen von den Behörden getestet, überprüft und angepasst werden.

Dort, wo die Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen Umbau der Industrie weiterhin positiv sind und entsprechende Geschäftsmodelle zulassen, werden die Zementanlagenbauer die notwendigen "grünen" Technologien entwickeln und zur Verfügung stellen.

Investitionsanreize und Rentabilität

ICR: Wie würden Sie die Investitionssituation in der MEA-Region mit der in Europa und Nordamerika vergleichen, wo sich die Kohlenstoffbepreisung inzwischen gut etabliert hat und einen wirtschaftlichen Anreiz in diesem Bereich darstellt?

PH: Im Gegensatz zu der sehr dynamischen Regulierungssituation in Nordamerika und Europa, die die In der MEA-Region sehen wir große Investitionen, die eher sporadisch getätigt werden, während sich die Industrie in großem Umfang verändert. Diese großen Investitionen können aber auch zur Beschleunigung des Wandels beitragen, denn viele Länder haben sehr günstige lokale Bedingungen für die Erzeugung erneuerbarer Energien, so dass sie grüne Kraftstoffe, insbesondere Wasserstoff oder Methanol, exportieren könnten. Grüne Kraftstoffe und Chemikalien sind ihrerseits abhängig, auf eine Kohlenstoffquelle, die z. B. aus den Abgasen von Autogen-Zementwerken effizient gebunden werden kann.

ICR: Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Bereitschaft der Zementindustrie, sich zu größeren Investitionen in die Dekarbonisierung zu verpflichten, insbesondere im Hinblick auf die Kohlenstoffabscheidung? Wie viel von der Last sollte von den Regierungen und nicht von den Unternehmen getragen werden?

PH: Das ist eher eine Frage für unsere Kunden. Anhand von Projektanfragen und Studien sehen wir aber in der gesamten Branche vom Anlagenbauer bis zum Zementhersteller - einen klaren Veränderungswillen. Solche langfristigen Investitionen sind aber immer von einem stabilen Markt abhängig. Wünschenswert wäre eine verstärkte Nachfrage nach grünem Zement seitens der öffentlichen Hand und ein zumindest mittelfristig stabiles regulatorisches Umfeld, etwa durch entsprechende Förderungen, Definition des Begriffs "grüner Zement" oder Carbon Leakage Regelungen.

ICR: Inwieweit ist es sinnvoll, in die Umrüstung vor allem älterer Zementwerke zu investieren? wenn man bedenkt, dass ein erheblicher Teil von ihnen bis 2050, wenn nicht schon bis 2030, veraltet sein könnte? Sollten die Zementhersteller warten, bis bewährte Technologien auf den Markt kommen, oder sollten sie jetzt handeln?

PH: Investitionsentscheidungen, unabhängig davon, ob es sich um einen Umbau oder einen Neubau handelt, immer vom individuellen Geschäftsfall abhängen. Aufgrund des dynamischen regulatorischen Umfelds in Bezug auf die Finanzierung und die CO2 Preisgestaltung und die sich ändernden Business Cases sehen wir, dass die Tendenz in den oben genannten Regionen ist, dass die Entscheidungen für grüne Investitionen beschleunigt und vorgezogen werden. Wir müssen jetzt handeln! ■