Monsieur Olivier, Sie pendeln häufig zwischen Ihrem Arbeitsplatz in Frankreich und Baustellen in aller Welt. Wo erwischen wir Sie gerade?
Im Moment befinde ich mich in Kamerun, wo thyssenkrupp für das niederländische Unternehmen Cimpor Global Holdings eine große Produktionslinie für kalzinierten Ton und eine Zementmahlanlage errichtet. Die mit neuester Technologie ausgestattete Anlage wird dazu beitragen, die CO2-Emissionen pro Jahr um 120.000 Tonnen zu reduzieren.
Nehmen wir an, Sie wären zuhause in Frankreich. Wie sieht dort ein typischer Arbeitstag aus?
Mein Tag beginnt mit meinen Kindern, drei Jungen im Alter von zwei bis neun Jahren. Ich kann mich nicht erinnern, wie es sich anfühlt, ruhig auf der Couch zu liegen. Wenn ich zu Hause bin, bringe ich meine älteren Söhne zur Schule und meinen Jüngsten mit dem Fahrrad zu seinem Kindermädchen.
Im Januar 2021 hat tkIS (France) einen neuen Standort in Les Pennes Mirabeau ganz in der Nähe meiner Wohnung bezogen. Das ist sehr angenehm, kann ich doch mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Im Büro angekommen, trinke ich in der Regel einen Kaffee mit meinen Kolleginnen und Kollegen und checke meine E-Mails, bevor ich mit der "harten Arbeit" beginne. Ganz so hart ist diese nun auch nicht, da 90 Prozent der Zeit eines Projekt Managers für persönliche Kommunikation, Meetings, Telefon- und Videoanrufe, E-Mails usw. draufgeht.
Meine Hauptaufgaben hängen dann von der jeweiligen Projektphase ab. Zu Beginn des Projekts, zum Beispiel in der Initiierungs- oder Planungsphase, verbringe ich die meiste Zeit damit, eine Vision zu entwickeln, eine Strategie für das Projekt festzulegen, das Kernteam zusammenzustellen usw.
Am Ende der Errichtung der Anlage bin ich hingegen auf der Baustelle, wo ich die meiste Zeit damit beschäftigt bin, die Baustellenteams zu unterstützen und schnelle Entscheidungen vor Ort zu erleichtern. Schließlich muss jedes Projekt fristgerecht und im Rahmen des Budgets abgeschlossen, die Qualität der Ergebnisse gewährleistet und die Sicherheitsvorschriften eingehalten werden. Es gilt unterschiedliche Menschen und Gewerke aufeinander abzustimmen, ohne die genannten Ziele aus den Augen zu verlieren. In dieser Zeit ist Agilität ein Muss. Das ist es, was mich an diesem Job reizt, denn die Arbeit und Steuerung von Menschen ist nie gleich.
Agilität ein Muss. Das ist es, was mich an diesem Job reizt, denn die Arbeit und Steuerung von Menschen ist nie gleich.
Francois Olivier, Projektmanager
Sie sprachen vom Spaß an der Arbeit mit Menschen. Gibt es weitere Eigenschaften, die man für einen solchen Job benötigt? Ist es für Sie ein Problem, für längere Zeit von zu Hause weg zu sein?
Zunächst muss ich sagen, dass ich zwar viel Zeit auf Baustellen verbracht habe, insbesondere während der Bauphase und vor allem während der endgültigen Inbetriebnahme. Aber das sind dann höchstens mal sechs Wochen am Stück. Manche Kolleginnen und Kollegen bleiben zwei ganze Jahre auf der Baustelle, das ist dann nochmal eine ganz andere Herausforderung.
Das Besondere an der Arbeit als Projektmanager auf einer Baustelle ist, dass man das Projekt, an dem man monatelang gearbeitet hat, physisch "anfassen" kann. Am Anfang ist es nur ein Konzept, sind es 3D-Ansichten, aber, wenn man sieht, wie sich die Gebäude und Anlagen aus dem Boden erheben, wenn man sieht, wie die Geräte laufen, wenn man "spürt", wie die ganze Anlage zum Leben erwacht, ist es atemberaubend. Solche Empfindungen kann man nur vor Ort erleben.
Aber natürlich ist es nicht jeden Tag einfach. Vor Ort zu arbeiten bedeutet auch, weit weg von zu Hause zu sein, große Zeitunterschiede zwischen den beteiligten Standorten überbrücken zu müssen und dem Kunden täglich Rede und Antwort zu stehen. Das Internet funktioniert nicht immer richtig, es gibt Staub, starken Regen, schwierige Wetterbedingungen. Außerdem müssen sie sich mit allen Problemen des Projekts, seien es Verzögerungen bei der Wiederherstellung, Qualitätsprobleme usw. befassen.
All das macht die Arbeit auf der Baustelle fesselnd, aufregend, aber nicht einfach. Ein Projektmanager muss ehrlich und entschlossen sein und seinen Job beherrschen, um seine Glaubwürdigkeit gegenüber dem Kunden und den teilweise schwierigen Charakteren auf der Baustelle zu wahren.
Und dann ist da noch die Distanz zur Familie: Natürlich ist es nie einfach, von zu Hause weg zu sein, und meine Lieben vermissen mich auch. Auch hier sind Kommunikation und Ehrlichkeit der Schlüssel. Zum Glück ermöglichen mir die heutigen Kommunikationsmöglichkeiten, insbesondere WhatsApp-Videoanrufe, meine Familie problemlos zu sehen.
Gibt es ein besonderes Ereignis auf einer Baustelle, dass Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Beginnen wir mit einer echten "Up & Down"-Erinnerung: Es ist Anfang Oktober 2021, ein Sonntag, es ist mehr oder weniger Mitternacht, nach vielen Stunden vor Ort ist die Freude groß, in der Nacht den ersten Klinker auf einer Anlage in Marokko produziert zu haben. Endlich! Nach vier Jahren harter Arbeit ohne Zwischenfälle haben wir Klinker produziert. Ich war selten so stolz auf die geleistete Teamarbeit. Trotz aller Schwierigkeiten, die wir in den zurückliegenden drei Jahren hatten, wir hatten es geschafft. Es ist wie die Geburt eines Kindes.
Leider zeigten sich nach weniger als einer Stunde Laufzeit einige rote Stellen auf dem Ofenmantel. Das ist ein wahrgewordener Albtraum! Wir mussten die Ofenbeschickung stoppen und die gesamte Anlage abkühlen. Keiner der vor Ort anwesenden Experten wusste genau, was passiert war. Doch einige Wochen später, nach einigen technischen Anpassungen, ist es uns gelungen, den Ofen wieder in Betrieb nehmen. Wir führten die Produktionstests erfolgreich durch, die Anlage lief stabil über der Nennleistung – am Ende war es ein großer Erfolg.
Wenn man mit seinem Team auf so einer Baustelle festsitzt, entstehen starke Bindungen und großartige Erinnerungen, wie zum Beispiel kalte Sandwiches, die man sich vor Ort teilt, während man in der Nähe der Rohmühle steht und darauf wartet, dass die Anlage wieder anläuft, oder stundenlang im Kontrollraum verbrachte Stunden, in denen man auf Kurven schaute und die Daumen drückte, oder in denen man in der Nacht Kohleverstopfungen unter einem Trichter beseitigte.
Wenige Wochen nachdem wir unsere industriellen Produktionstests vom Kunden zertifiziert bekommen haben, habe ich eine Art Festessen mit dem gesamten Team organisiert. Es war ein sehr schöner Moment des Austauschs und der Entspannung.
Als hätte es nicht schon genug Herausforderungen gegeben, kam dann auch noch Corona dazu.
Ja, das stimmt. Ich sagte bereits, dass die Arbeit eines Projektmanagers zu 90 Prozent aus Kommunikation besteht. Die Schließungen ganzer Baustellen und Landesgrenzen haben unsere Arbeit erheblich beeinträchtigt. Die Baustelle in Marokko blieb 2020 für fast sechs Monate geschlossen. Wir brachten alle unsere ausländischen Mitarbeitenden nach Hause und die ganze Welt fuhr herunter. Dadurch wurde der Baufortschritt komplett gestoppt. Die spätere Wiederaufnahme der Aktivitäten forderte viel Zeit und Energie. Obwohl die Grenzen für einige Monate erneut geschlossen wurden, gelang es uns, die Montage abzuschließen und die Strecke in Betrieb zu nehmen.
Wie viele Unternehmen auf der ganzen Welt haben auch wir die Telearbeit für uns entdeckt. Die Zusammenarbeit mit dem eigenen Team und mit dem Kunden aus der Ferne haben die Arbeitsweise verändert. Ich persönlich glaube aber, dass wir alle sehr anpassungsfähig sind, und am Ende ist es gut gelaufen.
Überall auf der Welt leiden Menschen unter Covid-19, haben dramatische Verluste erlitten. Wenn wir also alles ins rechte Licht rücken, ist es gar nicht so schlimm, von zu Hause aus zu arbeiten und nicht reisen zu können.
Erlauben Sie uns abschließend einen Blick auf den Privatmann Francois Olivier?
Gerne. Ich bin 39 Jahre alt, geboren in Südfrankreich, in einer Stadt nicht weit von Marseille, wo ich eine schöne, glückliche Kindheit verbracht habe. Gleich nach meinem fünfjährigen Ingenieursstudium in Lyon blieb ich dort einige Jahre und hatte meinen ersten Job. Da ich das sonnige Wetter und die "südliche Lebensweise" vermisste, kehrte ich schließlich in die Region Marseille zurück, wo ich heute noch lebe.
Ich spiele gerne Gitarre und treibe – wenn ich Zeit habe - Sport. Mein liebstes Hobby ist Bodyboarden. Das Bodyboard ist eine verkürzte Form eines Surfbrettes und wird im Gegensatz zum Wellenreiter hauptsächlich im Liegen gefahren. Wenn thyssenkrupp also irgendwo auf der Welt mit einem Projekt an der Pazifikküste betraut wird, würde ich es gerne leiten!