Die polysius® booster mill soll eine neue Dimension in der Zementvermahlung eröffnen. Sie haben diese neue Technologie zusammen mit Netzsch Feinmahltechnik entwickelt?
Wilczek: Ja, in der Tat. Nachdem die horizontale Rührwerkskugelmühle bereits vor Jahrzehnten von Netzsch Feinmahltechnik für den Nassprozess (in der Erzaufbereitung) etabliert wurde, ist die polysius® booster mill von Netzsch Feinmahltechnik zusammen mit thyssenkrupp gezielt zur Anwendung für einen Trockenprozess weiterentwickelt worden. Versuche in kleinem Maßstab und eine industrielle Pilotanlage beweisen, dass die neue Lösung ein breites Spektrum an Anwendungsszenarien und Zielsetzungen der Zementhersteller abdeckt.
Bitte beschreiben Sie das Design der polysius® booster mill. Was sind ihre besonderen Merkmale?
Dr. Kache: Das Funktionsprinzip und die Pilotanlage, die erste Anpassung des ursprünglichen Designs an den Trockenzementprozess, sind in Abbildung 1 dargestellt. Eine Reihe von Mahlwerkzeugen, die auf einer Welle montiert sind, drehen sich mit hoher Geschwindigkeit und bewegen die Mahlkörper (Perlen) innerhalb eines festen Zylinders. Die Größe der Mahlkörper variiert üblicherweise im Bereich von 4-8 mm. Die Mahlwerkzeuge erreichen eine Spitzengeschwindigkeit, die dem 5-fachen der kritischen Geschwindigkeit entspricht, und erzeugen eher eine gleichmäßige Mahlkörperwolke als eine kreisende Menge rollender und fallender Kugeln wie im rotierenden Mahlbehälter einer Kugelmühle bei einer maximalen Geschwindigkeit von lediglich dem 0,7-fachen der kritischen Drehzahl.
Um den Luft- und Materialfluss zu verbessern, mussten einige Änderungen und Optimierungen vorgenommen werden, wobei das Arbeitsprinzip beibehalten wurde.
Wilczek: Die Mühle kann eine maximale Korngröße von etwa 0,5 mm bei harten und bis zu 4 mm bei weicheren Materialien verarbeiten. Ein typisches Merkmal der Mühle ist ihre hohe Energiedichte, die im Vergleich zu einer Kugelmühle 10-20 mal höher ist, was zu einer sehr kompakten Bauweise führt. Die hohe Energiedichte in der kleinen Mahlkammer erfordert einen schnellen Materialtransport. Dementsprechend ist dafür ein starker Luftsog nötig.
Im Hinblick auf diese Merkmale waren weitere Modifikationen und Ergänzungen für einen optimalen Trockenprozess erforderlich, darunter ein modifizierter Eintrag, ein neues Rührwerksdesign und ein neues Luftströmungskonzept mit einem angepassten Filter.
Es gibt mehrere Möglichkeiten eines kombinierten Fließschemas innerhalb eines bestehenden Mahlkreislaufs. Zwei Beispiele sind in Abbildung 2 dargestellt.
- Das linke Beispiel zeigt eine 2-Kammer-Kugelmühle mit mechanischem Materialaustrag in geschlossenem Kreislauf mit dem Sichter. Über einen Prallkasten wird das Material in den Sichterluftstrom eingeblasen. Ein Teil dieses Materials wird zum Vermahlen in die neue Mühle umgeleitet und anschließend wieder in den Kreislauf zurückgeführt.
- Eine Integration in vertikale Walzenmühlensysteme ist ebenfalls möglich (siehe Abbildung rechts). Zum Beispiel kann ein Teil des Endprodukts zur Optimierung der Zementeigenschaften feiner gemahlen werden. Alternativ können Trennkörner als Beschickungsmaterial verwendet werden.
Zwei Pilotanlagen werden in der Türkei und in Deutschland betrieben. Mit welchen Ergebnissen?
Dr. Kache: Im August 2020 wurde in den F&E-Einrichtungen der Cement Technologies Division von thyssenkrupp eine kleine hochflexible Versuchsanlage (100-600 kg/h) in Betrieb genommen. Darauf werden seitdem ununterbrochen zahlreiche Tests mit CEM I-, CEM II/A- und B-Zementen bis hin zu aktivierten Ton/LC3-Produkten in getrennter und gemeinsamer Vermahlung gefahren. Drei Mühlen der ersten Stufe (Kugelmühle, HPGR, VRM) können angeschlossen und in verschiedenen Modi betrieben werden.
Wie bereits erwähnt, ist eine Verringerung des Klinkerfaktors mehr und mehr gefragt. Um den Verlust an Frühfestigkeit durch den geringeren Klinkeranteil zu kompensieren, wird ein Teilstrom der ersten Mahlstufe in der polysius® booster mill hochfein gemahlen. Schon die Ergebnisse aus nur einem von mehreren Versuchen – in diesem Fall unter Verwendung eines Teilmaterialstroms aus den Trennkörnern – zeigen, dass (mindestens) die gleiche Zementqualität und das gleiche Zementvolumen mit einem um 6 bis 12 Prozentpunkte höheren Kalksteingehalt erreicht werden. Ein weiteres Ziel könnte sein, die Erzeugung eines Zements der 42,5 R-Klasse mit einer Festigkeit von 20 MPa 2d bei gleichzeitiger Maximierung des möglichen Kalksteingehalts sicherzustellen.
Wilczek: Bereits im Jahr 2017 wurde eine Pilotinstallation in einer Mahlanlage in der Türkei in Betrieb genommen. Sie wurde zwei Jahre lang in der Flugaschevermahlung betrieben, mit überzeugenden Ergebnissen bezüglich Produktqualität und Energieeffizienz. In der zweiten Jahreshälfte 2019 wurde sie in dem Mahlkreislauf einer integrierten Zementproduktion installiert, um eine Steigerung der Produktivität und der Zementqualität zu erreichen. Zwei Hauptergebnisse der Versuche waren:
Produktionssteigerung: Die Produktion von CEM I 42,5 N-Zement konnte um rund 20 Prozent von 45 t/h auf 56 t/h gesteigert werden, wobei die Auslastung der vorhandenen Kapazität noch gering war. Darüber hinaus weist die erreichte höhere Druckfestigkeit bei nahezu gleicher Blaine-Oberfläche auf ein zusätzliches Produktionssteigerungspotenzial durch Anpassung der Zementqualität hin. Qualitätsverbesserung: Durch Hinzuschalten der neuen Mühle konnte die Druckfestigkeit des Zements die CEM I 52,5 R-Anforderung erfüllen ohne Minderung des ursprünglichen Durchsatzes. Ausgangspunkt war CEM I 42,5 R bei einer Durchsatzleistung von 38 t/h.
Die Qualitätssteigerung wird durch eine günstigere Korngrößenverteilung und möglicherweise - da die Festigkeitssteigerung nicht allein durch die veränderte PSD erklärt werden kann und noch weiter untersucht werden soll - durch eine mechanische „Oberflächenaktivierung“ erreicht.
Dr. Kache: Eine entscheidende Frage für eine breite industrielle Anwendung war der Verschleiß der Anlage aufgrund der hohen Energiedichte in der Mahlkammer. Bei der Pilotanlage wurden jedoch insgesamt mehr als 2.000 Betriebsstunden ausgewertet, und es wurde nur ein minimaler Verschleiß festgestellt. Daher werden derzeit Wartungsintervalle erwartet, die mindestens denen von Kugelmühlen entsprechen. Der Austausch von Verschleißteilen, Auskleidungen und Mahlwerkzeugen kann innerhalb einer Schicht erfolgen.
Welchen Einfluss wird die polysius® booster mill auf Umsatz und Gewinn der Kunden haben?
Wilczek: Wie bereits erwähnt, hat sich mit den Ergebnissen der Versuchs- und Pilotanlage der Anwendungsbereich erweitert. Mögliche Volumen- und Portfolioänderungen können im Rahmen eines detaillierten Business Case berechnet werden. Das haben wir auch für die Hauptszenarien unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Portfolios und der auf dem deutschen Zementmarkt herrschenden Preise gemacht (siehe Abbildung 5).
Dr. Kache: Natürlich sind auch beliebige Kombinationen von Szenarien möglich. Weitere Vorteile tragen zu einem attraktiven Business Case bei. Einer ist die sehr begrenzte Ausfallzeit des laufenden Betriebs für die Installation. Die hohe Energiedichte führt zu einer sehr kompakten und relativ leichten Bauweise, was die Wahrscheinlichkeit einer Installationsmöglichkeit innerhalb bestehender Strukturen erhöht. Daher sind auch wenig Bau- und Installationsarbeiten zu erwarten, was zu geringeren zusätzlichen Investitionen für die Einbindung in den bestehenden Kreislauf führt.